Zudem bat das Champagnerhaus seine Gäste zu der Schau »Trace« ins Ausstellungshaus
Palau Martorell in der Altstadt, das zuvor Werke von Marc Chagall präsentiert hatte
und sich derzeit bis zum 20. Juli Fernando Botero widmet. Höhepunkt war dort das
Materialbild »Grün des Waldes mit Ast« von Giuseppe Penone, einem Hauptvertreter der Arte
Povera, aus der Sammlung des Museums für zeitgenössische Kunst in Rochechouart. Für diese
Waldlandschaft hat Penone das Chlorophyll und die Säfte von Blättern und anderen Pflanzenteilen
auf die Leinwand abgerieben. Die Arbeit thematisiert die physische Berührung zwischen
Mensch und Natur anhand der Spuren, die durch den direkten Kontakt mit der Materie entstehen.
Dass ein darauf montierter echter Ast Penones Werk zu dem macht, was in der Kunst
Assemblage heißt, verstärkt noch die Parallelen zur Entstehung einer Champagner-Cuvée.
Folglich wurde diese Jahrgangspremiere zu einem Ereignis in der an Events beileibe nicht
armen Fine-Wine-Szene, das trotz angemessenem – und von den Besuchern erwartetem –
Luxus weit mehr bot als nur Instagram-Posing und Glamour. Den üblichen auf Hochglanz polierten
Veranstaltungen hatten die Organisatoren des berühmten Champagnerhauses mit ihrem
Chef de Cave Vincent Chaperon einen Kontrapunkt entgegengesetzt: Ästhetische Kontraste,
intellektuelle Prozesse und Tiefgang der Geistes verbanden sich mit kulinarischem Genuss und
Hedonismus zu etwas Neuem.
So lautet Saties Vortragsanweisung für sein Klavierstück »Langsam und schmerzlich«.
Die Zeichnungen und Fotografien im Palau Martorell wiederum waren Abbildungen und
Entsprechungen der Weinbergarbeit im Jahr 2023, in dem Vincent Chaperon schließlich
eine weitreichende Entscheidung traf: Aufgrund der Wetterextreme wird Dom Pérignon
diesen Jahrgang nie herausbringen. Ganz ohne Probleme sind auch die beiden vorgestellten
Champagner nicht entstanden – 2015 war ein zu warmes Jahr, das Chaperon als »außergewöhnlich
und rätselhaft« bezeichnet, und das Jahr 2006, aus dem der P2 stammt, verlief ebenfalls
schwierig und unregelmäßig, heiß und trocken.
Die bei der Premiere vorgeführten künstlerischen Arbeiten und Ausdrucksformen sind als
Analogien jener Sackgassen, Wegkreuzungen und Labyrinthe zu verstehen, die einer der besten
Weinmacher der Champagne mit seinem Team über die Strecke vieler Jahre samt Tausender
Tastings und Hunderter Cuvées gehen muss, um zum Ziel zu kommen. Wenn die jungen Basisweine
aus den verschiedenen Lagen und Parzellen verkostet werden, schmecken sie beißend
und kratzig, zeigen in der Regel kaum Frucht und eine strenge Säure statt Balance und Eleganz.
Jetzt beginnt das Suchen, das Tasten, bei dem Intuition, Handwerk und Erfahrung zu Entscheidungen
verschmelzen.