DANIEL DÜSENTRIEB IM BORDELAIS

AUCH MIT 80 JAHREN IST DANIEL CATHIARD AUF CHÂTEAU SMITH HAUT LAFITTE, DAS ER MIT SEINER FRAU FLORENCE BETREIBT, FÜR ALLES NEUE AUFGESCHLOSSEN. EHE SIE 1990 DAS LEGENDÄRE GUT IN PESSAC-LÉOGNAN ÜBERNAHMEN, HATTEN SIE BEREITS ALS SKILÄUFER UND GESCHÄFTSLEUTE GELERNT, SICH AN DIE SPITZE ZU KÄMPFEN

Von STEFAN PEGATZKY Fotos JOHANNES GRAU

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er Himmel wirkt schon wieder bedrohlich dunkel über Martillac. Daniel Cathiard ist wie üblich frühmorgens mit den Hunden unterwegs. Ohne große Regung betrachtet er die vorbeiziehenden Wolkenbänder, die viele Winzer im Bordelais zu verzweifelter Hektik treiben: Bei dieser Wetterlage breitet sich der Mehltau aus und droht wie im vergangenen Herbst die Ernte zu gefährden. Cathiard bringt selten etwas aus der Ruhe, er folgt stoisch seinen eigenen Vorstellungen und Regeln. Über zwei Tage hinweg hat uns der Eigentümer von Château Smith Haut Lafitte sein Anwesen gezeigt, uns Rede und Antwort gestanden. Man meint, ihn halbwegs durchschaut zu haben, da präsentiert er urplötzlich eine neue Überraschung.


Die Anfänge als Winzer waren »wie ein Tango: ein Schritt vor und zwei zurück«


Cathiard fährt in einem elektrischen Golfcart an den Reben vorbei in den »Wald der Sinne«, der manches erstaunliche Detail birgt. Zum Château gehört ein Areal mit 80 Hektar Wald, moosbewachsene alte Mühlsteine liegen zwischen den Baumstämmen, die eine bewegte Geschichte erzählen könnten, drei Lamas stolzieren in einem Gehege umher und ganz in der Nähe steht eine Zen-Glocke in einem Pavillon. »Meine Frau denkt, sie sei Buddhistin«, sagt Cathiard dazu und setzt zu einem kaum merklichen Schmunzeln an: »Aber sie ist es nicht.« In einem Holzhaus namens »Tisanerie« werden Tees und Präparate für den biodynamischen Weinbau hergestellt, in Regalen trocknen Kräuter und Blüten wie Schafgarbe, Schachtelhalm, Kamille und Baldrian. Vor dieser »Apotheke unserer Weinberge«, benannt nach dem französischen Wort tisane für Kräutertee, steht eine Skulptur des Künstlers Stefan Rinck, »The Big Sceptic«, weil man, erklärt Cathiard, wie dieser große Skeptiker »auch bei der Biodynamie vieles hinterfragen kann«.

Auf einer Lichtung steht ein Hochsitz. Das sei sein Büro, sagt der Winzer, der mittlerweile die Arbeit an der frischen Luft bevorzugt: »Sogar das Internet funktioniert hier.« In dieser kuriosen Welt gehen Natur und Technologie nahtlos ineinander über. Dabei ist Cathiard kein esoterischer Eiferer. Der 80-Jährige arbeitet gern mit modernsten Mitteln und erforscht neue Möglichkeiten im Weinbau. An diesem Morgen hat er sich entschlossen, seinen »heimlichen Keller« zu zeigen, der unauffällig in der Waldlandschaft verankert ist. Der »Stealth Cellar« wurde in einer Grube versenkt, in der lange Zeit Kies abgebaut worden war – Cathiard nimmt die Landschaft, wie sie ist, und will sie nicht unnötig modellieren. Dieser Keller für die Zweitweine von Smith Haut Lafitte, der nur mit erneuerbarer Energie betrieben wird, soll der Öffentlichkeit erst im kommenden Frühjahr vorgestellt werden. »Ich zeige nicht gerne unfertige Projekte«, sagt Cathiard, zumal er hier ein spezielles Experiment verfolgt: Das umweltschädliche Kohlendioxid aus der Weinerzeugung wird in Natriumsalz umgewandelt, das auch bei der Algenproduktion verwendet werden kann – für das Bordelais ein nahezu revolutionärer Ansatz. »Der heimliche Keller ist die Zukunft von Lafitte«, erklärt der Daniel Düsentrieb unter den Bordeaux-Winzern, der bei diesem Gang durch sein jüngstes Projekt sichtlich auflebt. Sein Château ist ein außergewöhnlicher Solitär in der Region.

Smith Haut Lafitte ging stets einen Sonderweg, seit Daniel Cathiard und seine Frau Florence es 1990 übernahmen. Ohne Wissen vom Weinbau, dafür aber mit dem unbändigen Willen und Ehrgeiz, etwas Großes entstehen zu lassen, zogen die beiden ins Bordelais, dessen Bewohner ihnen erst einmal die kalte Schulter zeigten. Die Nachbarschaft ging auf Distanz zu den Ankömmlingen – die alteingesessene »Korkenaristokratie «, wie Florence Cathiard spöttelt, betrachtete sie zunächst als neureiche Eindringlinge. Aber die Cathiards sind aus einem ganz eigenen Holz geschnitzt: Beide waren Leistungssportler und zählten zum französischen Ski-Nationalteam, Daniel Cathiard gehörte in den 1960ern sogar zweimal dem französischen Olympia- Kader an. Doch als sein Vater 1970 unerwartet starb, musste er mit 25 Jahren aus dem Profisport aussteigen und die kleine Kette von Lebensmittelgeschäften übernehmen, die er von ihm geerbt hatte. Auch abseits der Skipisten machte das junge Paar bald Karriere: Während er eine der größten Supermarktketten in Frankreich und ein weltweites Netz von Sportartikelgeschäften aufbaute, leitete sie eine bekannte Marketingagentur. Mit 45 verkaufte Daniel Cathiard 1989 seine Unternehmen und orientierte sich um, die Lust auf Entdeckungen war immer

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Barry Flanagans Bronzehase von 1990 ist zu einem Symbol des Châteaus geworden. Sein Titel »Hospitality« passt zu der Gastfreundschaft, die hier gepflegt wird

Florence Cathiard genießt ihr »drittes Leben« nach Skisport und Marketing. Fabien Teitgen, vor bald 30 Jahren aus dem Studium zum Weinbergmanager berufen, ist mittlerweile Generaldirektor des Châteaus 16 FINE